Franz-Rosenzweig-Klause
Publikationen/Forschung
Philosophischer Gesprächskreis
Phil. Texte / Literatur
Ramon Lull Forum
Links /Familienchronik
 
     
 



"Wir sollten uns nicht schämen, die Wahrheit anzuerkennen und anzunehmen, wo auch immer sie herkommt, auch wenn sie von entfernten Rassen und anderen Nationen stammt [...] Für den Wahrheitssucher hat nichts Vorrang  vor der Wahrheit und er setzt niemanden herab, der sie ausspricht und vermittelt. Die Wahrheit wird nicht durch Status gemindert, sie adelt alle."

(Al-Kindi - 768 - 814)

Gespräch eines Philosophen, eines Juden und eines Christ 

„Weil wir indes schon lange  über die unterschiedlichen  Richtungen unseres Glaubens miteinander Vergleiche anstellen und streiten, haben wir uns schließlich deinem Richterspruch anheimgegeben.“

 

Der Philosoph: „Auf meine Bemühung hin ist dies unternommen worden, da ja dies die genuine Aufgabe der Philosophen ist, mit Vernunftgründen die Wahrheit zu erforschen und in allem nicht der Meinung der Menschen, sondern der Führung der Vernunft zu folgen. Daher habe ich mich mit ganzem Herzen den Schulen unserer Zunft hingegeben und ebenso an ihren Vernunftgründen wie an den Autoritäten geschult, mich schließlich aber der Moralphilosophie gewidmet, welche das Ziel aller Disziplinen ist und deretwegen ich vorher von allen anderen kosten zu müssen glaubte. Hier habe ich mich über das höchste Gut und das höchste Übel sowie über die Dinge, die den Menschen entweder glücklich machen, soweit ich vermochte, unterrichten lassen, danach sogleich bei mir die unterschiedlichen Glaubensrichtungen, von denen jetzt die Welt geteilt ist, eifrig durchforscht und, indem ich alle prüfte und wechselseitig verglich, dem zu folgen beschlossen, was im höheren Maße mit der Vernunft übereinstimmt. Ich wandte mich also auch der Lehre der Juden und Christen zu, indem ich beider Glauben und Gesetze oder Vernunftgründe erörterte. Ich habe es erfahren, dass die Judentöricht, die Christen verrückt sind, um dies einmal, ohne deinen inneren Frieden zu verletzen, der durch dich Christ nennst, auszusprechen.“

 

(Abailard – Petrus Abaelardus 1079-1142)

Ramon Lull

http://www.philos-website.de/index_g.htm?autoren/lull_g.htm~main2

Der wahrhafte Begründer der neueren Philosophie ist der Deutsche Nikolaus von Cues(1401-1465), der in Rom begraben ist, der aber sein Herz nach dem Hospital zu bringen angeordnet hat, welches er in seiner Moselheimat gestiftet hatte. Dieser Kardinal­legat, in dessen Leben alle Fäden der Renaissance zusammen­laufen, der Freund des Aeneas Sylvius, wie des Brunelleschi und des Paul Toscanelli, er hat in der Universalität seines Geistes der wissenschaftlich-systematischen Philosophie einen Dialog ge­schrieben: „de pace seu concordantia fidei". Dieser platonische Dialog ist die Grundschrift der Aufklärung und der Toleranz, nicht im Sinne der theologischen Polemik, sondern in dem der freien Philosophie. Und es ist ein Triumph der Religion, dass ein. Kirchenfürst diese Grundschrift verfasst hat.

In diesem Dialog treten die verschiedensten Völker auf, der Grieche, der Italiener, der Araber, der Inder, der Chaldäer, der Szythe, der Gallier, der Perser, der Syrer, der Spanier, der Türke, der Deutsche, der Tartar, der Armenier, der Böhme, der Eng­länder und sogar auch der Jude, der sich übrigens eine idealisierte Auffassung der Trinität, wie sie vom „Worte", als dem Ver­treter des Christentums hier aufgestellt wird, durchaus gefallen läßt. Der Grundgedanke aber, der diese Schrift durchzieht, wird in dem Gebete ausgedrückt: „Du kannst, allmächtiger Gott, auf eine erfassbare Weise dich jedem Geiste erkennbar offenbaren. So verbirg dich nicht länger, o Herr, sei gnädig und zeige dein Antlitz, und Heil widerfährt allen Völkern . . . ruhen wird dann das Schwert und der Haß und alle Leiden, und alle werden einsehen, dass nur eine Religion besteht in der Verschiedenheit der Gebräuche." (Una Religio est in rituum varietate.) Daß dennoch auch hier die Herbeiführung der einen Gottesverehrung, als der einen Religion, von Gott erfleht wird, das ist zwar ein objektives, aber kein subjektives Hemmnis der Toleranz, welche immerhin durch die objektive Einsicht der Aufklärung herauf­geführt wird.

 

„Monotheismus und Sprache''

Das lange historische Zusammenwirken zwischen Juden, Chri­sten und Moslems, ihre geographische Nachbarschaft rings um das Mittelmeer, ihre gegenseitige Durchdringung allenthalten in unserer homogen strukturierten Welt, in dieser realen Welt, die sich um Anachronismen nicht schert, schafft, ob man es will oder nicht, eine faktische Gemeinschaft zwischen Juden, Mos­lems und Christen, auch wenn ernste Mißverständnisse sie tren­nen und sogar in Gegnerschaft zueinander bringen.

Ob man es will oder nicht! Warum sollte man es nicht wollen? Warum sollte diese Gemeinschaft gegen den Willen ihrer Mit­glieder entstehen?

Jede dieser geistigen Familien lehrte der Welt den Universalis­mus, auch wenn sie sich über die Pädagogik nicht immer einig waren. Unsere wesentlichen Schicksale sind befreundet.

Der Monotheismus ist keine Arithmetik des Göttlichen. Er ist die vielleicht übernatürliche Gabe, den Menschen hinter der Verschiedenheit der historischen Traditionen, die jeder einzelne fortsetzt, als absolut dem Menschen gleich zu sehen. Er ist eine Schule der Liebe zum Fremden und des Antirassismus.

Aber er ist noch mehr: er zwingt den Anderen, in den Diskurs einzutreten, der ihn mit mir vereinen wird. Dies ist ein Punkt von höchster Bedeutung. Die Logik der Hellenen stellte bekanntlich ein Einverständnis zwischen Menschen her. Jedoch unter einer Bedingung. Unser Gesprächspartner muß einwilligen zu spre­chen, man muß ihn zum Gespräch hinführen. Und Platon sagt uns zu Beginn des Staat, daß niemand den anderen zwingen kann, ein Gespräch aufzunehmen. Und Aristoteles sagt uns, daß der Mensch, der schweigt, sich der Logik des Nicht-Wider­spruchs endlos verweigern kann. Der Monotheismus, das Wort des Einen Gottes, ist genau das Wort, das nicht zu hören unmög­lich ist, dem nicht zu antworten unmöglich ist. Es ist das Wort, das dazu zwingt, das Gespräch aufzunehmen. Weil die Mono-

* Ansprache auf einer von der Union des Etudiants Juifs in der Mutualite einberufenen Versammlung im Winter 1959.

theisten der Welt das Wort des Einen Gottes zu Gehör brachten, kann der griechische Universalismus in der Menschheit zur Wir­kung kommen und sie allmählich zur Einigung hinführen. Diese homogene Menschheit, die nach und nach vor unseren Augen Gestalt annimmt, in Furcht und Zittern zwar, aber bereits durch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit solidarisch, diese Mensch­heit haben wir Monotheisten ins Leben gerufen! Nicht das öko­nomische Kräftespiel hat diese faktische Solidarität geschaffen, die auf dem ganzen Planeten Rassen und Staaten vereint, das Gegenteil ist wahr: die monotheistische Kraft, dem Menschen den anderen Menschen erträglich zu machen und den anderen Menschen zu einer Antwort zu veranlassen, hat diese ganze Ökonomie der Solidarität möglich gemacht.

Der Islam ist einer der Hauptfaktoren dieser Herausbildung der Menschheit. Seine Aufgabe war schwierig und großartig. Seit langem ist er über die Stämme hinausgewachsen, in denen er geboren wurde. Er ist in drei Kontinente ausgeschwärmt. Er hat zahllose Völker und Rassen vereint. Er hat besser als jeder an­dere begriffen, daß eine universale Wahrheit mehr wert ist als lokale Partikularismen. Nicht durch Zufall zitiert eine talmudi­sche Lehrfabel Ismael — das Symbol des Islams — unter den wenigen Söhnen der Heiligen Geschichte, deren Name vor ihrer Geburt formuliert und angekündigt wurde. Als wäre ihre Funk­tion in der Welt seit aller Ewigkeit in der Ökonomie der Schöp­fung vorgesehen.

Vor der Größe dieser Leistung, vor dieser souveränen Zusam­menarbeit beim Werk der Vereinigung — Endzweck und Recht­fertigung jeder partikularen Vereinigung — hat sich das Juden­tum immer wieder verneigt. Einer seiner großen Dichter und Theologen, Jehuda Halevy, der als Jude in diesem Bereich dem Judentum ein Erstgeburtsrecht gewiß nicht absprechen konnte, Jehuda Halevy, der arabisch schrieb, verherrlichte die Mission des Islams.

Diese Dankbarkeit ist in jedem Juden lebendig, der diesen Namen verdient. Denn der Jude, und das ist vielleicht eine seiner Definitionen, ist ein Mensch, der trotz aller Sorgen und Kämpfe des Augenblicks in jedem Moment bereit bleibt für den Dialog über hohe Dinge, das heißt für das Wort von Mensch zu Mensch. Vor allem aber ist der Jude ein Mensch, für den der Dialog über

IZ7

die hohen Dinge zumindest die gleiche entscheidende Bedeutung hat wie die Kämpfe und Sorgen des Augenblicks. Es ist undenk­bar, daß eine solche Disposition gerade bei denen kein Echo finden sollte, die mit soviel Größe die Aufgabe vollendeten, von der das Judentum die erste Botschaft brachte.

Eben dies möchten wir in einer von den jüdischen Studenten — von den Gelehrten dieses Volks von Gelehrten - einberufenen Versammlung sagen, wenn wir die Haltung des Judentums gegen­über dem Islam zum Ausdruck bringen. Die Erinnerung eines gemeinsamen Beitrags zur europäischen Zivilisation im Laufe des Mittelalters, als sich die griechischen Texte mit Hilfe der jüdischen Übersetzer, die die arabischen Übersetzungen über­setzt hatten, in Europa verbreiteten, kann nur dann begeistern, wenn wir auch heute noch an die Macht des Wortes ohne Rheto­rik und ohne Diplomatie glauben. Ohne seine Verpflichtungen zu leugnen, ist der Jude offen für das Wort und glaubt an die Wirksamkeit der Wahrheit.

Fromme Wünsche, wird man sagen, und großmütige Worte! Ich weiß, daß man den Worten nicht mehr glauben kann, denn man kann nicht mehr sprechen in dieser gepeinigten Welt. Man kann nicht mehr sprechen, denn niemand kann seine Rede be­ginnen, ohne sofort etwas ganz anderes zu bezeugen als das, was er sagt. Psychoanalyse und Soziologie belauern den Sprechen­den. Wenn man die Mystifikation anprangert, erweckt man bereits den Eindruck, erneut zu mystifizieren.

Aber wir Juden, Moslems und Christen — wir Monotheisten — sind hier, um den Bann zu brechen, um Wörter zu sagen, die sich aus dem Zusammenhang, der sie verunstaltet, losreißen, um Worte zu sagen, die bei demjenigen beginnen, der sie sagt, um das Wort wiederzufinden, das entscheidet, das Wort, das den Knoten löst, das prophetische Wort.

(Emanuelle Lévinas 1906-1995)

 

 
     
Top